15.04.2016 Das Leben der letzten Bergleute im Ruhrgebiet
 ... PROSPER-HANIEL ....

David Untertage
(Ein Beitrag von JANA WAGNER)

Die Jungens vom Pütt 
Das Leben der letzten Bergleute im Ruhrgebiet

Containerartige Gebäude, ein Drehkreuz markiert den Eingang zum Gelände und dahinter ragt der charakteristische Förderturm. Vor den Gebäuden stehen die Kumpel, die noch eine letzte Zigarette rauchen, bevor es in über 1000 Meter Tiefe an ihren Arbeitsplatz geht. Steinkohleförderung auf Prosper-Haniel, ein Stück Kulturgut. Sofort ist man gefangen im Charme des Ruhrgebiets, im Land, in dem Pils und Korn fließen. Als echtes „Ruhrpottblag“ gehört dieses Bild einfach zum Heimatgefühl dazu. Um es mit den Worten des Ruhrgebiets-Kabarettisten Frank Goosen zu sagen: „Schön isset nich, aber meins.“

David ist 20 Jahre alt und arbeitet als Industriemechaniker für die Ruhrkohle AG. Auf dem Hochleistungsbergwerk Prosper-Haniel in Bottrop gehört er so zu den letzten Arbeitern im Ruhrgebiet, die noch unter Tage eingesetzt werden. Auch sein Vater und Onkel haben auf der Zeche gearbeitet, weshalb für ihn relativ schnell klar war, dass auch er helfen möchte, dieses Stück Ruhrgebietskultur zu bewahren. 
Prosper-Haniel ist das letzte aktive Steinkohlebergwerk im Ruhrgebiet. Hier arbeiten noch rund 4100 Mitarbeiter. Doch auch hier ist voraussichtlich 2018 Schicht im Schacht, dann wird David wieder in den über Tage Betrieb wechseln und anderorts als Industriemechaniker arbeiten. 

Nach seinem Realschulabschluss begann er 2012 die Ausbildung zunächst über Tage, um die Grundfertigkeiten zu erlernen. Nach der Zwischenprüfung machte er dann die so genannte Grubenreife, in der die Auszubildenden auf den Alltag unter Tage vorbereitet werden. Hier werden Abläufe und allgemeine Hinweise für das Leben auf der Zeche, unabhängig von der Arbeit des Einzelnen erlernt.

Wenn man das Gelände betritt, sieht man als erstes die Kantine. Dies ist eigentlich der einzige Ort, an dem man sich ohne Helm aufhalten darf. Doch im Moment steht vor dem Gebäude ein Kran und als David ihn passiert, ertönt sofort eine Stimme „Helm auf!“. Dies ist einer der Momente, der zeigt, wie groß Arbeitssicherheit auf dem Pütt geschrieben wird. Die „Rotkäppchen“, wie die Mitarbeiter der Arbeitssicherheit von den Kumpel genannt werden, überprüfen zum Beispiel die Ausrüstung der Bergleute, die David hinter der Tür mit der Aufschrift „Kein Zutritt für Frauen und Kinder“, in der Kaue anlegt. Arbeitsschuhe, Handschuhe, Knie- und Schienbeinschoner, eine Schutzbrille und sein Helm schützen ihn vor möglichen Gefahren. Außerdem trägt er täglich seine Lampe, einen CO-Filter und sein Mannwerkzeug bei sich, hierzu gehören zum Beispiel Schlüssel und Zangen. Hat er all das gepackt, geht es mit dem Korb in gerade einmal 90 Sekunden auf 1000 Meter Tiefe. „Es ist wie eine Achterbahnfahrt“, sagt der Oberhausener, nicht ohne dass man ihm einen gewissen Respekt davor ansieht. 

Die verschiedenen Aufgaben, die unter Tage erfüllt werden müssen, werden in verschiedene Reviere eingeteilt. So gibt es Reviere, die zum Beispiel für den Transport, die Instandhaltung der Bänder und natürlich den Abbau der Kohle zuständig sind. Davids Revier, Nummer 253, ist für die Instandhaltung der Versorgungsleitungen für Wasser und Luft zuständig, für Schächte und Bunker und außerdem für die Visualisierung, das heißt die Darstellung der dazugehörigen Daten auf dem PC. Das Schachtsystem unter Tage ist insgesamt 141 km lang. David hat manchmal so lange Strecken zu seinem Einsatzort zurückzulegen, dass er nicht dort hin laufen kann. Dann stehen den Bergmännern Züge oder Fahrräder zur Verfügung, um zu ihrem Ziel zu gelangen. „Manchmal finden unter Tage sogar kleine Fahrradrennen statt, wenn mal zwei Schienen nebeneinander verlaufen.“ Dennoch kommt es vor, dass die Wege viel länger dauern, als die Arbeiten, die zu erledigen sind. Das ist eins der wenigen Dinge, die David an der Arbeit unter Tage kritisiert: Das Zeitmanagement ist anstrengend. Nicht nur aufgrund der langen Wege, auch weil viele Arbeiten nur zu bestimmten Zeiten und nur in einer kurzen Dauer erledigt werden können. Muss zum Beispiel eine Reparatur an den Frischwasserleitungen durchgeführt werden, muss der komplette Abbau für die Zeit der Arbeit stillgelegt werden. Ohne die Wasserleitung werden die Motoren nicht gekühlt, ohne die Motoren laufen die Bänder nicht und ohne die Bänder kann die abgebaute Kohle nicht transportiert werden. So stehen David und die anderen Kumpel in seinem Revier ständig unter Druck. Am größten wird der Druck, wenn einem von den Kumpels einfällt, dass es zum Mittagessen Rouladen gibt. Bei Rouladen und Fußball herrscht Ausnahmezustand, dann wird alles gegeben, um pünktlich Feierabend zu machen. „Und egal, welche Farbe dein Helm hat, man hilft sich gegenseitig.“ Gemeinsam den Stress bewältigen, Zusammenhalt, das ist es, was für David die Arbeit auf dem Pütt zu etwas Besonderem macht. 

Nach seiner Schicht sieht David am Korb die Kumpels wieder mit denen er morgens angefahren ist. Verschwitzt und dreckig stellen sie das absolute Sinnbild eines Bergmanns dar. 

Frisch geduscht steht David an der Bushaltestelle und wartet auf den Bus, der ihn zurück in die ehemalige Zechensiedlung bringt, in das Haus, in dem seine Mutter gerade in der Küche steht und Rouladen macht.