06.06.2015 Musik aus Opernhausen. Mein Erstes Mal mit Senioren ...


ABBA
(Heute schreibt mal wieder Beate Wagner als Gastautorin. Sie hat als Heranwachsende ein Wahnsinns-Erlebnis gemacht. Und sie wagt es! Sie schreibt doch tatsächlich hier und öffentlich und exklusiv über ihre ERSTES MAL. (...) Aber lest selbst):

Es war Mitte der 70er. Da war ich das erste Mal im Oberhausener Theater. Mit meiner Omma. Es war Seniorenvorstellung. Das ganze Theater voller, alter Menschen. Bepackt mit Thermoskanne, Bütterken und Apfelstückchen. Und ich - eine unmotivierte, höchst gelangweilte 12 jährige - mittendrinne. Ein junges Mädchen, das eigentlich mit Theater noch "übberhaup nix" an ihren jungen Kopp hatte. Was sollte ich da? 
Omma meinte: "Kind, da wird schön Musick gemach'!" Daaaa also sollte Musik drinne sein. Aber wat für Musik? Ich stand auf ABBA, Smokey und die Bay City Rollers! ....aber doch nich' auf sowat wie Lortzing?! Wat für'n bescheuerten Name?!? LORTZING! Von der Gruppe hatte ich noch nie gehört. Klang auch irngswie gar nich' nach Englisch. "Komma ruhich mitte Omma mit, Kind, dat wird dich schon Spass machen! Iss Zar und Zimmermann, von den Lortzing." - "Spar der Zimmermann?!" - Kehr, hieß dat nicht irgendwie 'mit die Axt in Hause spar'se … so wat wie der Zimmermann?!? Na, egal! Wenn Omma dat wollte, dann musste dat Kind mit.
Im Theater. Na klar ..... getz gabet Spass, bei 'ner Seniorenparty ..... Da saß ich nu' …. Doch dann ging der Vorhang auf. Das Orchester spielte die ersten Töne …. und? … wat soll'ich sag'n?: Um mich war's geschehen! Noch nie hatte ich so'ne tolle Musik gehört. Die Omis um mich herum waren vergessen und ich hatte nur noch Augen und Ohren für "o sancta justitia"; "Heil sei der Tag, an dem du hier bei uns erschienen" und vor allem "Einst spielt ich mit Zepter, mit Krone und Stern". 

Ich erinnere mich noch genau an den Schluss. Der Zar wollte wieder zurück nach Russland … natürlich mip'm Schiff. Und da gab's auch tatsächlich noch'n Schiff im Theater. Der Rang an der Bühne war gesperrt und an der Brüstung hing die Kulisse eines riesigen Schiffes. Oben drauf der Zar! Er winkte noch'ma zum Volk und zu die Ommas un' Opas im Theater und dann war'er auch schon wech. 
Nach dem Schlussapplaus merkte ich erst so richtig wieder, wo ich war?! Ich war doch tatsächlich in der Seniorenvorstellung von diesem Lortzing. Im Theater! Hätt'ich nie für möglich gehalten und spannend & schön war'et auch. Und dat ganz ohne Abba, Smokey und die Bay City Rollers!!
Von diesem Zeitpunkt an war ich quasi Dauergast im Musiktheater. Erst Schülerabo, später normales Abo … und ich hab alles mitgenommen, egal ob Oper, Operette oder Musical. Bis zum Schluss! 
Und plötzlich gab es auch kein Musiktheater mehr in Oberhausen. Ich hab's daraufhin in Duisburg probiert, aber das war mir zu versnobt. In Oberhausen war das Musiktheater für jedermann. Das heißt aber nicht, dass es nicht ohne Anspruch war. Es waren Inszenierungen mit einem ganz besonderen Charme. Einem Charme, den ich bis jetzt noch nirgendwo anders gefunden habe. Vielleicht vergleichbar mit dem Charme, der immer mit dem Ersten Mal verbunden ist?!

Heute gibt es das Schauspiel in Oberhausen. Ich finde es sehr gut. Doch ich trauere immer noch "Zar und Zimmerman", "Fidelio", "Blume von Hawaii" und "Evita" nach. Aber besonders trauere ich der ersten Aufführung, die ich mit Omma und all den begeisterten und mich begeisternden Senioren erlebte, nach. Der Aufführung, die mir die Welt des Theaters und der Musik eröffnete. Der Aufführung, die mir sozusagen das Brett vom Kopf riss, um mir die Bretter, die die Welt bedeuten, zu eröffnen; und diese fest - wie eben ein Zimmermann das gemeinhin so macht - in mein Herz zu nagelte.