02.04.2015 Das unheimliche Paradies auf Erden. Kein Apfel! Nur'ne beschissene Rhabarberstange ...


(Bild HG. Everhartz; Text Beate Wagner)


Vor dem grauen und christlich traurig gestimmten und nicht gerade durch Freude, Lust und Genuss bestimmten Kar-Freitag hier an dieser Stelle wieder einmal eine der - nun muss man wohl schon sagen - lehrreichen Kindheitserinnerungen von Beate Wagner. Gerade wenn Eltern nur andeutungsvoll mauern, erkennen die Kinder die Moral der Elternverbote nachträglich um so eindringlicher. Doch lest selbst:

"Das Grundstück neben meinem Elternhaus war zu meinen Kindertagen noch nicht bebaut. Von der Straße aus sah man eine Mauer und dahinter war ein Garten. Ein riesig großer Garten. Er gehörte einer älteren Dame aus der Nachbarschaft. 
In diesem Garten gab es Stachelbeeren, Johannisbeeren, Erdbeeren (...). Für uns Kinder war das ein Paradies und darum seehhr verlockend ...! Aber! Streng verboten! Ich höre heute noch die Worte meiner Eltern … und es gabt da immer etwas ungeheuer Drohendes in ihren Stimmen: „Niemals, aber auch niemals steigst du über die Mauer und klaust Obst aus diesem Garten!“ 

Ich kam aus einem tief katholischen Elternhaus. Da war Klauen natürlich ganz selbstverständlich verboten. Aber trotzdem klang diese Drohung irgendwie anders. Da war nichts von „der liebe Gott sieht alles“ …. auf eine ganz merkwürdige Weise war das Verbot unheimlich. Vielleicht ähnlich unheimlich, wie das Verbot Gottes an Adam & Eva, nicht von diesem einen paradiesischen Apfel zu essen.
Bei den anderen Kindern in der Nachbarschaft, war das nichts anderes. Auch denen wurde strengstens untersagt, über diese Mauer zu steigen. Aber gerade da lag ja nun die Verlockung … und …?! - ?! …. eben auch die roten zuckersüßen Erdbeeren.
Eines Tages kam die Besitzerin des Gartens zu meiner Mutter und wollte ihr Rhabarber schenken. Die dicksten Rhabarberstangen, die ich je gesehen hatte. Und ich aß für mein Leben gerne „Matsch am Paddel“! Das ist Rhabarberkompott geschichtet mit Vanillepudding und Zwieback. 
Die Vorfreude auf diese Leckerei war riesengroß … aber?! … was tat meine Mutter? Sie sagte „Nein danke, Rhabarber isst bei uns keiner!“ Ich war fassungslos und konnte mir das alles nicht so recht erklären. Bis eines Tages ..... da haben wir es gesehen ….! Das große dunkle Geheimnis des Gartens! Und zwar in der Gestalt einer Würstchendose! 'Dicke Sauerländer Bockwürstchen' stand groß auf der Dose.
Wie wir wussten (ich weiß nicht mehr woher), benutzte die alte Dame diese Würstchendose als Nachttopf! Und sie verteilte den Inhalt morgens großzügig über alle Beete in ihrem Garten. Die Erdbeeren waren für mich plötzlich gar nicht mehr so rot und die Rhabarberstangen verloren an Größe und natürlich besonders an Geschmack.
ABER!
„Matsch am Paddel“ esse ich heute noch gerne. Doch warum wir partout nicht in diesen Garten durften, das habe ich an diesem Tag schlagartig verstanden und sofort eingesehen. Also Eltern können manchmal ganz schön klug sein. Sogar klüger als Kinder."