(Text: Beate Wagner; Bilder HG. Everhartz)
Beate Wagner erzählt hier wieder einmal aus ihrer Kindheit. Wie oft haben wir uns als Kinder gewünscht, jemand zu sein, der stark, heldenhaft, schön oder anmutig oder alles das zusammen ist. Und wie oft sind diese Wünsche an der rauen Wirklichkeit zerschellt. Ein Anderer oder eine Andere zu sein und in diesem Anders-Sein über uns - wenn auch nur für kurze Zeit - hinauszuwachsen … ein solcher Wunsch begleitet uns das ganze Leben. Das gilt für Nscho tschi … und … Beate … ? Aber lest selbst:
…. und ich durfte nie Nscho-tschi sein ....
Auf der Sofienstraße gibt es - direkt neben Elektro Büschken - einen ziemlich verwilderten Garagenhof. Zu meiner Kinderzeit war dieses Grundstück schon genau so verwildert, nur eben ohne die Garagen.
Dort trafen wir uns immer am Nachmittag zum Winnetou- und Old Shatterhand-Spielen. Die richtigen Jungs waren natürlich Winnetou oder Old Shatterhand und die anderen waren die einfachen Apachen. Die Mädchen - nur zwei unter all den Jungs - waren Nscho-tschi und … na ja?! … und Ich eben.
Jeden Tag sagte ich: "Heute will'ich abber ma' die Nscho-tschi sein!" Doch Iris sagte einfach immer nur: "NEIN!" Und das war's für mich. JedenTag auf's Neue. Immer wieder war ich nur ICH und immer wieder war Iris Nscho-tschi. Dabei wollte ich doch auch mal .....
... und ich konnte ja auch nicht einfach nur Beate sein wie im normalen Leben. Wie hört sich das denn an? Nscho-tschi und BEATE bereiten den tapferen Kriegern am Lagerfeuer das Mahl. Also ich brauchte auf jeden Fall einen richtigen Indianernamen, und wenn nicht den ersehnten, dann eben einen anderen Indianernamen.
Da kam mir eine Idee: Ich nannte mich Andschana! Nach der Heldin in dem Buch, das ich damals gerade verschlang. Andschana war zwar ein indisches Mädchen ... aber wollte Kolumbus nicht ursprünglich den Seeweg nach Indien findien? Also passte der indische Name ja auch irgendwie?!
Die Jungs taten das, was gewöhnliche Indianer so tun. Spuren suchen und den feindlichen Komantschen auflauern, um sie vernichtend zu schlagen …. aber die Komantschen kamen nie. Zwischendurch spielten sie 'ne Runde Fußball und wir Mädchen wurden mit Gras, Sand oder Stöckchen beworfen.
Nscho-tschi aber thronte als die hehre, schöne Häuptlingstochter in unserem Lager. Und ich? - … ja ich sammelte nur Stöcke für das imaginäre Lagerfeuer, pflückte Brombeeren für das Essen, ging zwischendurch schnell mal nach Hause, um Apfelsaft zu holen und träumte beständig davon, endlich auch einmal Nscho-tschi sein zu können. Aber nix. Da war nix zu machen. Ich durfte einfach nicht! Warum? Ich weiß es nicht. Es war einfach so.
Und die Jungs?!? - Na ja, denen war so'n Mädchenkram egal, solange die Brombeeren pünktlich über dem Lagerfeuer brutzelten und genug Apfelsaft da war. Also alles wie im richtigen Leben. Männer eben. Der Wunsch wurde immer stärker, immer bedrängender, ich musste das Prinzesschen werden, das im Indianerlager thronte. Aber an Iris kam ich nicht vorbei, sie ließ mich partout nicht. Mein Groll gegen sie wuchs.
Ich war so sauer, dass ich ihr eines Tages aus Rache heimlich in den Apfelsaft spuckte! Und sie hat es nicht gemerkt, sie hat es geschluckt! Zwar war Nscho-tschi für mich jetzt entzaubert. Aber leider wurde ich auch durch diese schändliche Tat nicht selbst zu Nscho-tschi! Ich blieb BEATE.
Mein Trost war dann später, nachdem ich die Winnetou-Bände von Karl May gelesen hatte, zu erfahren, dass Nscho-tschi, die sich ja unsterblich in Old Shatterhand verliebt hatte, durch die Hand eines Bösewichts starb.
ICH aber ... ich als Anandscha Beate lebte & lebe immer noch. Nur in den Apfelsaft anderer spucke ich seitdem nicht mehr!