Heute wieder eine Geschichte von Beate Wagner. Es zeigt sich in dieser Geschichte, dass alte, fast wertlose Dinge lebens- und liebeswichtiger sein können, als der moderne Tand & Kram, den man sonst täglich mit sich herum schleppt, und an den viele von uns ihr Herz hängen, obgleich es besser für etwas wirklich Lebendiges schlagen sollte. Aber lest selbst:
Wie fast jeden Abend war ich mit meinem Hund in Alstaden unterwegs. Als ich ihn auf unserer üblichen Route wie immer ein wenig gedankenverloren beobachtetet, um gleich mit der obligatorischen Tüte zur Stelle zu sein, wenn es denn sein musste, sah ich plötzlich vor mir auf dem Gehweg ein Handy liegen.
Ich hob's auf und bemerkte sofort, dass es ein älteres Modell war. So eines mit vielen Kratzern. Noch so'n richtiges Handy, also kein Smartphone und nichts besonders Wertvolles. Trotzdem steckte ich's ein, um es am nächsten Tag zum Fundbüro zu bringen. Man kann ja nie wissen: Vielleicht gehört es einem älteren Menschen, der sich kein Smartphone leisten kann und möglicherweise dringend auf dieses olle Dingen hier angewiesen ist.
Ich war gerade wieder paar Schritte neben unserem Hund unterwegs, als plötzlich dieses Handy klingelte. Ganz in Gedanken versunken, nahm ich es aus der Tasche und meldete mich: "Ja, ... hallo?!" … Und im gleichen Moment fiel mir ein: Kehr, dat is' ja gar nicht meins ....
Ich stutzte - ?! - zögerte ein wenig … - ?!? … und sagte erneut: "Hallo....?“ Eine wahnsinnig aufgeregte Stimme am anderen Ende stammelte & brabbelte Unverständliches … bis der Mensch hinter dieser Stimme sich schließlich soweit beruhigt zu haben schien, um endlich eine verständliche Frage stellen zu können. Er fragte erstaunlicherweise jedoch nicht, WER ich sei, sondern WO ich sei.
Ich sagte:
- "Am Stubbenbaum, Ecke Flockenfeld!“
Er:
- "Bewegen Sie sich bloß nicht von der Stelle! Sie müssen unbedingt warten. Von Ihnen hängt mein Leben ab! Mann, fällt mir ein Stein vom Herzen. Ich hab's schon überall gesucht. In spätesten 2 Minuten bin ich da.“
Und wirklich, die 2 Minuten waren noch nicht verstrichen, als ich auch schon einen jungen Mann hektisch und hechelnd auf mich zu rennen sah. Er erzählte mir (jetzt etwas gefasster), dass er dieses Handy nur benutze, wenn er zur Uni fährt. Er habe Angst sein teures Smartphone mitzunehmen, weil man ihm das möglicherweise klauen könne. Und gerade an diesem Morgen habe er in der S-Bahn eine so tolle Frau kennengelernt, "also so toll, stammelte er die ganze Zeit …. so toll, dass es vielleicht 'die Liebe seines Lebens' werden könnte.
Während des Gesprächs in der S-Bahn habe sie ihm ihre Handy-Nummer gegeben. Und er habe diese natürlich gleich auf seinem ollen Handy gespeichert und war todunglücklich, als er bemerkten musste, dass er ausgerechnet jetzt dieses Mist-Ding verloren hatte. Denn, so seine Schlussfolgerungen:
- Ohne Handy, keine Nummer!
- Ohne Nummer, kein Anruf!
- Ohne Anruf, keine tolle Frau!
- Und ohne tolle Frau, keine große Liebe!
- Und ohne große Liebe, nur ein ödes Leben!!!!
Darum war er nun überglücklich, dass genau ich, genau jetzt SEIN altes Handy, das er nun natürlich mehr liebe als sein teures neues Smartphone, gefunden und nicht achtlos hatte liegen lassen.
Er nahm es gleich an sich. So wie man einen wertvollen Schatz an sich nimmt. Oder so wie die kleinen Kinder (eben noch weinend, jetzt voller Freude) ihre verloren geglaubten Schmuse-Sachen wieder an sich nehmen … und er war so erleichtert, so voller Dankbarkeit und so glücklich, dass er ganz vergaß, sich zu verabschieden … und einfach … fort .... ging.
Ein paar Monate später traf ich ihn zufällig auf dem Trödelmarkt. In seinem Arm eine sehr hübsche, junge Frau. Als er mich erkannte, kam er gleich auf mich zu und sagte mit einem breiten, hellen Strahlen im Gesicht: "Das ist sie! Und ich werde Ihnen ewig dankbar sein!" Und schüchtern fügte die junge Frau ein leises "ich auch" hinzu.
Neben und gegen all den üblen Nachrichten, die man sich tagtäglich anhören muss, sind solche Erlebnisse besonders schön. Ich suche seitdem immer nach Handys für frisch Verliebte, habe aber bisher leider keines mehr gefunden. Ich suche nicht für mich. NEIN! Ich suche für all die anderen Verliebten, die noch wahrhaftig zusammen finden müssen. Denn ich brauche dafür keine Handys mehr - ich habe meine große Liebe noch ganz traditionell - nämlich ohne Handy - schon vor langer Zeit gefunden.