Helvete Friedrich-Karl-Straße Nähe Marktstraße |
Heute mal wieder ein Gastbeitrag; und zwar von JANA WAGNER, die eine paradoxe Feststellung gemacht hat. Es gibt nicht nur den berühmten, sprichwörtlichen "Wolf im Schafspelz" sondern es gibt auch sein Gegenteil, das "Schaf im Wolfspelz". Jedenfalls in Oberhausen und vielleicht sogar auch nur in Oberhausen. Doch wie ist das zu verstehen? Ihr wollt es wissen?? Dann lest selbst:
Das Helvete ist der größte Metal Club im Ruhrgebiet. Drei Etagen, 800qm Rock und Metal. Doch was hinter den Türen passiert, wissen nur die wenigen, die sich in die Welt der langhaarigen Bartträger trauen.
Freitag Abend. 21 Uhr. Oberhausener Innenstadt. Eine große rote Holztür. Darüber prangt ein Banner: „Helvete“ & „Metal & Rock Pub, Club, Live Stage“. Daneben das Logo des Clubs: Ne nackte Frau mit Teufelshörnern, roten Lackstiefeln und Teufelsschwanz. Allet nu'ma' nich' besonders einladend. Doch irgendwas zieht trotzdem Wochenende für Wochenende ne Menge Menschen an diesen Ort. Auch die, die jetzt gerade hier zu sehen sind, machen eher einen weniger einladenden Eindruck. Schwarz gekleidete „langhaarige Bombenleger“, wie meine Mutter sie nennen würde. Hinter der roten Türe: Schummerlicht. Auf den Tischen Kerzen, die Wachstropfen wie Rotznasen auf den Schnapsflaschen-Kerzenständer hinterlassen. Oben an der Decke ein hölzernes Pentagramm. Hinter der Bar eine dämonisch aussehende Figur.
Neben der Tür ein Barhocker. Auf dem Barhocker ein Mann mit Lederweste. Auf der Lederweste ein Namensschild: „HENNER“. Eine Begrüßung. Ein Handschlag. Eine Umarmung. Keine Spur von anonymer Türsteher-Begrüßung. Im Gegenteil: Herzlichkeit von der ersten Minute an. Die hereinkommenden Gäste bleiben alle 'ne Weile bei Henner stehen. Reden, gestikulieren, lachen zusammen, bevor sie ihre Verzehrkarte bekommen und den Laden betreten. Fragt man nach dem Türsteher, bekommt man Statements wie dieses zu hören; "Das Helvete ist für mich: HENNER. Ohne ihn wäre das hier alles nichts." Jeder kennt ihn. Jeder liebt ihn.
Soll das also das wahre Gesicht des Metals sein? Sind die verzerrten Gitarren, die lauten Bässe, die dunklen Klamotten und geschminkten Gesichter letztendlich doch nur Fassade? Versteckt sich hinter der Maske des bösen Wolfs doch nur ein liebes, ja liebenswertes Schaf?
Und genau dieser Eindruck bleibt haften, wenn man sich mit Jasmina unterhält. Seit ca. zweieinhalb Jahren arbeitet sie nun schon im größten Metal Club der Umgebung. Hinter der Bar im Pub auf einer der drei Etagen, hat sie schon viel gesehen. „Ich wollte eigentlich nie im Service arbeiten“, erzählt sie. „Ich hatte immer Angst, dass die Kunden sofort sauer werden wenn ich mal einen Fehler mache. Aber hier ist das nicht so. Klar bekommt man schon mal 'nen blöden Spruch reingedrückt. Aber dann geb ich einen zurück, man lacht drüber und trinkt zusammen. Hier ist alles lockerer“.
Aus den Boxen dröhnt Musik. Ein neuer Take hat begonnen und plötzlich lassen die Gäste alles stehen und liegen „Brothers everywhere“, alle Arme bewegen sich nach oben. „Raise your hands into the air“. Der angewinkelte Arm, die Faust in der Ellbeuge des anderen. „We're warriors, warriors of the world“. Der Song, der alle Menschen im Raum miteinander verbindet.
Plötzlich hört man draußen vor der Tür lautes Stimmengewirr. Ein lautstarker Streit. Nicht zwischen Kunden, sondern zwischen zwei Fremden, die wohl zufällig auf der Straße sind und nachdem sie sich einige Zeit angebrüllt haben sogar aufeinander losgehen. Als einer von ihnen zu Boden geht und sichtlich verletzt ist, macht der andere sich aus dem Staub. Sofort reagieren die Gäste und Mitarbeiter im Helvete. Bringen Eis und Wasser. Laden den Verletzten nach drinnen ein. Und der, ... der kann es kaum glauben. „Ich hätte nie gedacht, dass die Menschen hier so nett sind. Man hört so viel schlechtes.“
Das sehen wohl viele der Menschen in der Umgebung so, daher bleiben die Metaller im Helvete meistens unter sich. Doch das stört hier niemanden. Die Stimmung ist ausgelassen, freundlich, beinahe familiär. Und das trotz der Tatsache, dass hier altersmäßig von 17 bis 70 ungefähr alles vertreten ist. Alle trinken und lachen ... und ... tanzen nicht? Stand an der Tür nicht das Wort Club? Ja, vom Pub aus kommt man über die Treppe nach unten in die Tiki Bar. Auf dem Weg nach unten scheint es, als würde man wieder einen anderen Laden betreten. Das erste was einem entgegen schwallt ist der Geruch von Schweiß und Bier. Die Treppe ist klebrig von verschütteten Getränken, was aber vielleicht bei dem Alkoholkonsum hier nicht schlimm ist, denn umfallen ist fast unmöglich. Das Licht wird dunkler, die Musik lauter. Und dann, unten angekommen, Haare. Durch die Luft wirbelnde, lange Haare. Köpfe die sich im Takt der Musik auf und ab und im Kreis herum bewegen, Männer, die ihre Haare durch die Luft schleudern. Haare. Überall.
Mitten auf der Tanzfläche sieht man zwischen den schwarz gekleideten Metallern eine Gruppe junger Frauen. Blond, hübsch, gekleidet wie sich junge Frauen eben kleiden, wenn sie ausgehen. Sie leuchten förmlich in ihren weißen Oberteilen und heben sich deutlich von den andern Besuchern des Clubs ab. Nicht gerade der Typ, den man hier erwartet. Doch Melanie, Julia und ihre Freundinnen sind gerne hier. „Hier kommt niemand zu mir an und fragt direkt 'Gehn wir zu dir oder zu mir?'“, sagt Julia. Die Atmosphäre sei einfach angenehmer als in normalen Großraumdiskotheken. Melanie ist heute zum ersten Mal hier. „Ich hatte echt Angst so als Normalsterblicher hier hin zu kommen“, gibt sie zu. „Ich dachte alle würden uns blöd angucken. Aber das ist nicht so. Wir stehen schon den ganzen Abend auf der Tanzfläche und haben unseren Spaß.“
Gregor Woitzik ist der Besitzer des Clubs. Seit nunmehr sieben Jahren öffnet er an den Wochenenden seine Türen für Metaller und Rocker, die ihn als „Predi“ kennen. Seine Gäste kommen nicht nur aus Oberhausen und Umgebung, sondern aus dem ganzen Ruhrgebiet; aus ganz Deutschland, und sogar aus dem Ausland. „Wir hatten einmal einen Spanier hier, der war wohl im Urlaub im Ruhrgebiet und hat zufällig unser Schild gelesen“, erzählt Jasmina. Das ungewöhnliche Konzept kommt gut an. „Auf dem Land gibt es sowas einfach nicht. Da ist es immer ein Highlight, wenn ich herkomme“, erzählt Sarah, die momentan zu Besuch im Ruhrgebiet ist und eigentlich aus Baden-Württemberg kommt. In der näheren Umgebung um das Helvete gibt es mehrere Clubs, die einzelne Räume oder einzelne Abende im Monat dem Rock und Metal widmen oder kleinere Kneipen, die sich der härteren Musik verschrieben haben, doch als reiner Heavy Club ist es im Umkreis von ca. 300 km einzigartig.
Einzigartig ist auch die Art und Weise wie Metaller hier feiern und auch zu ihren kleinen und großen Musiksünden stehen. So lockt das Helvete Besucher mit Specials wie einer Schaumparty oder Mottoabenden wie der Bravohits-Nacht und der monatlich stattfindenden Karaoke-Party. Nirgendwo sonst sieht man langhaarige, bärtige Männer in Bandshirts, die auf der Bühne stehen und Songs von den Spice Girls singen. Die Idee funktioniert. „Natürlich kann ein Metaller auch auf Sarah Connor abgehen!“
24 Uhr. Im Keller, dem Raum neben der Tiki Bar, ist das Konzert zu Ende. Die Massen strömen raus. Zur Toilette, an die frische Luft und natürlich zum Bier. Und dann kommt die Band. Männer mit langen schwarzen Haaren, schwarz-weiße Schminke im Gesicht, besprenkelt mit Kunstblut. Böse starren sie geradeaus, auf ihrem Weg zum DJ-Pult, hinter dem sich der Eingang zum Backstage-Bereich befindet. Kurz vor der Tür dreht einer der Männer abrupt um und geht zur Bar. „Tschuldigung“, sagt er leise zur Barkeeperin, „Kann ich vielleicht ein Bier haben? Und hast du zufällig Abschminktücher dabei?“
Ich sitze daneben, an der Bar und unterhalte mich mit meinen neu gewonnenen Freunden. Da entdeckt Julia jemanden ganz am anderen Ende der Bar. Zusammengesunken hängt er über dem Tresen, starrt nach unten und ... er weint in sein Bierglas. „Der Typ hat mich den ganzen Abend angebaggert und jetzt sitzt er da und heult nach meiner Abfuhr. Der weiche Kern im harten Metaller.“ Und genau das scheint es zu sein. Das Sinnbild für ein wirkliches Schaf im Wolfspelz.
Als Barkeeperin hat Jasmina solche Szenen schon oft erlebt. „Man kann sich gar nicht vorstellen, wie sensibel die meisten Männer hier sind. Und exakt dem Klischee der Bardame entsprechend wische ich die Theke ab, während mir die Männer hier von ihren Sorgen erzählen.“
Es wird klar, über den Metal gibt es Vorurteile wie über jede andere Gruppierung. Doch was davon stimmt oder nicht, kann nur der herausfinden, der sich hinein traut in die Welt des schwarzen bösen Wolfs.