27.05.2015 Rasieren in Oberhausen 1925 ... Waxing gab'et noch nich' ... un' die Frauens trugen noch ganz schön buschige "Augenbrauens"!

Neben der "Union" in Styrum


Mindestens zwei Personen auf dem Foto oben ließen sich zur damaligen Zeit unter Garnatie nicht rasieren. Überhaupt war das mit dem Rasieren lassen so'ne Sache. Man musste schon etwas mehr vom Wochenlohn übrig haben, um sich das leisten zu können. In der Regel war das also dem Bürger vorbehalten. Der Arbeiter legte selbst Hand. Und das war meist auch gut zu sehen. Viele liefen mit Rasierschmissen im Gesicht herum ... oder rasierten sich vorsichtshalber erst gar nicht, sondern trugen Vollbärte. 
Der junge Mann im hellen Anzug, der hier so aufgeräumt in die Welt blickt, das heißt ins Objektiv des Fotografen schaut, war sicherlich jemand, der entweder gleich aus der Kneipe nebenan, der "Union" kam, um sich Rasieren zu lassen oder der gerade eben den Oberlippenbart fachmännisch, mode- und zeitgemäß gestutzt bekommen hatte ... um dann im "Union" seine tagespolitischen Ansichten mit den anderen Gästen bei einem Bier von Carl Scheulen, dem Styrumer Braumeister, zu teilen. Ein starkes Bier! Ein Löwenbräu!! "Nä, nich' von'ne Saubayerns, sondern direktemang und echt aus Styrum!!"

Ich kann mich noch daran erinnern, dass mein Großvater mütterlicherseits, sich stets selbst rasierte. Auch er Arbeiter. Und das mit extrem starkem Bartwuchs. Er rasierte sich jeden Morgen um 5°° Uhr nach dem Aufstehen; und wenn er dann am späten Nachmittag von seiner Arbeit zurück kam, lag schon wieder ein dichter Schatten schwarzer Bartstoppeln in seinem ausgemergelten Gesicht. 
Er zog sein Rasiermesser (wie damals üblich) an einem langen, speckigen Lederriemen ab, der an der Türe des Küchen-Spints hing. Mit dieser Technik wurde die Klinge so fein geschärft, dass man sogar die Luft damit schneiden könne, sagt'e mein Oppa immer!!! 
Auf der Ablage unter dem Küchenspiegel lagen griffbereit kleine Zeitungsfetzen, die er gleich auf die blutenden Schnitte legte, die er sich trotz aller Geschicklichkeit an manchen Tagen etwas mehr, an manchen Tagen etwas weniger (wohl abhängig vom Alkoholkonsum am Vorabend) ins Gesicht schnitt. Dann gab's da noch so'ne Art Stift - ich glaube er bestand aus Alaun, um das Blut zu stillen und die Wunde ein wenig zu steril zu halten.

Auch wir Jungs probierten natürlich das Rasieren. Seiften uns mit Opas Rasierseife & Pinsel ein, kramten die von uns zu diesem Zweck gesammelten Holz-Eisstiele heraus, stellten uns auf einen Hocker vor den Spielgel und rasierten uns mit dem stumpfen Stiel. Ab und an fluchten wir kurz, wie's unsere Opas und Väter machten, um zu dokumentieren, dass wir uns mal wieder geschnitten hatten. 
Und wenn wir denn ausnahmsweise mal die Mädchen bei dieser unserer doch sehr männlichen Prozedur zugelassen hatten, dann klebten diese mit Kirschmarmelade (Blut) beschmierte Zeitungsschnipsel in unser Gesicht ... oder betupften die vermeintlichen Schnitte mit'ne angelutschte alte rotweiße Zuckerstange. 
So (vom Rasierschicksal) gezeichnet, waren wir natürlich noch männlicher, noch stärker und wir hätten glatt den Aschenkasten aus'm Ofen in den dunklen Keller tragen können, ohne vor Angst pfeifen und dringend pinkeln zu müssen. Aber dummerweise mussten wir die Aschkästen immer dann in den Keller tragen, wenn wir uns mal wieder NICHT rasiert hatten. 
Ach ja, unser Löwenbräu war übrigens das aus echtem Lakritz von uns in kleinen Flaschen selbstgebraute Lakritzwasser. Das machte uns mindestens dreimal so stark wie Obelix ... den wir aber damals natürlich noch nicht kannten. Unsere Helden dachten wir uns zu der Zeit noch selbst aus; dazu brauchten wir keine Comics und schon gar nicht das TV.